Ausbesserungswerk München-Neuaubing
Zu Beginn des Eisenbahnzeitalters wurden die Lokomotiven und Wagen noch meist in den Remisen der wenigen Bahnlinien ausgebessert. Mit steigender Anzahl von Strecken und damit auch mehr Lokomotiven und Wagen stieß diese Praxis jedoch an ihre Grenzen. Die Bahnverwaltungen entschieden sich für die sogenannte schwere Instandhaltung eigene Werkstätten zu bauen; sie wurden je nach Landstrich Central- oder Hauptwerkstätten genannt.
Die königlich bayerische Staatsbahn verfügte zur Jahrhundertwende über vier Centralwerkstätten in München, Nürnberg, Regensburg und Weiden. Da die Anzahl der auszubessernden Fahrzeuge jedoch kontinuierlich anstieg, musste ein fünfter Standort her. In der Nähe von München bot sich hier für die Staatsbahn eine günstige Gelegenheit. Der Gutsherr Hugo Ritter von Maffei offerierte der Bahn ein 90 Tagewerk großes Grundstück an. Knapp die Hälfte überließ er der Bahn unentgeltlich, den Rest für 1200 Mark je Tagwerk. Allerdings knüpfte er den Verkauf an die Bedingung, dass die Staatsbahn den Bahnhof Freiham auf seinen Ländereien zu errichten hätte. Darauf ließ sich die Staatsbahn ein.
Zur Erstausstattung der Werkstätte sollten zwei Wagenreparaturwerkstätten, ein Verwaltungsgebäude, eine Schmiede, eine Holzverarbeitungsanlage, zwei Beamtenwohnhäuser und 14 Arbeiterwohnhäuser errichtet werden. Zahlreiche Nebengebäude sowie ein Kesselhaus ergänzten die Anlage. 1906 ging das Werk nach vierjähriger Bauzeit in Betrieb. Bereits ein Jahr später begann die Staatsbahn damit, auf dem Gelände der Centralwerkstätte eine eigene Weichenwerkstätte zu errichten. Weitere Neubauten kamen hinzu, so dass etwa um 1930 die maximale Ausdehnung der Anlagen erreicht war. Welch vielfältige Beschäftigungen ein solch großes Werk mit sich brachte, lässt sich an der Kantine des Werkes sehen. Sie verfügte nämlich über ein eigenes Schlachthaus mit den dazugehörigen Stallungen!
Bis in die Zwischenkriegszeit besserte das Ausbesserungswerk Güter- und Personenzugwagen aus. Mit der Güterwagenausbesserung war jetzt jedoch Schluss. Das AW Freimann sollte diese künftig ausbessern. Dafür erhielten die Neuaubinger fortan alle Personen-, Post- und Gepäckwagen. Das AW hatte seit der Zeit nach dem 1. Weltkrieg immer wieder mit einem Personalproblem zu kämpfen. Allerdings nicht in Form von Personalmangel, wie wir ihn heute kennen, sondern in Form von Personalüberschuss. Immer wieder stieg der Personalbestand deutlich über 1000 Arbeiter. Das hatte dann immer wieder zur Folge, dass die Wagenausgangsleistung zurückging bzw. nicht in der erwarteten Form anstieg.
Während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur änderte sich der Aufgabenbereich des Werkes abermals. Die Güterwagenausbesserung wurde wieder aufgenommen. Hinzu kamen spezielle Umbauten für die Kriegsmaschinerie Hitlerdeutschlands. So mussten im RAW nun Lazarettzüge, Werkstattzüge für beschädigte Gleisanlagen gebaut und allerlei Umbauten für Reichsbahn und Wehrmacht durchgeführt werden. Im Juli 1944 wurde das Werk bei Luftangriffen so stark beschädigt, dass der Betrieb zeitweise zum Erliegen kam.
Die Zeit vor bzw. kurz nach Kriegsende stellte die Ausbesserungswerke und die beschäftigten Eisenbahner vor teils immense Probleme. Die Anlagen waren größtenteils zerstört, die Versorgung mit Ersatzteilen schlecht und fast an jedem Fahrzeug waren dringende Reparaturen notwendig. Hinzu kam die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln. Der Wiederaufbau war jedoch schon wenige Jahre später abgeschlossen und das Werk und seine Angestellten kehrten zur Normalität zurück. Auch die Ausbesserung konzentrierte sich jetzt wieder auf Reisezugwagen. Und es kam eine Aufgabe hinzu, dessen Ergebnis jeder Eisenbahnfreund kennt: Das AW Neuaubing fertigte ab 1953 nämlich die sogenannte Umbauwagen, deren 3- und 4-achsige Variante prägend für den Personenverkehr in ganz Westdeutschland werden sollte. Ende der 1960er Jahre musste die Bundesbahn jedoch dringend rationalisieren; einige Werke, darunter auch das AW Neuaubing, standen auf der Kippe. Ende des Jahrzehnts fiel jedoch die positive Entscheidung: Neuaubing existiert weiter! So konnten dringend notwendige Investitionen in Angriff genommen werden.
Im Jahr 1972 kam es dann zu einem Großbrand in Halle 2, der etwa ein Drittel der Halle zerstörte. Ausgangspunkt der Flammen war ein 3yg-Wagen, dessen Außenhaut mit Lackentferner behandelt war. Das Feuer breitete sich rasch aus und griff sofort auf das Dach und weitere Wagen über. Glücklicherweise kam kein Mitarbeiter zu Schaden, es war jedoch trotzdem ein hoher Sachschaden zu beklagen, darunter 5 Wagen und ein großer Teil der Dachkonstruktion.
Im folgenden kam es bis in die 1980er Jahre zu weiteren Modernisierungen und Umbauten. Ab den 1990er Jahren wurde abermals das Schreckgespenst „Rationalisierung und Einstellung“ durch die Werkshallen getrieben. Auch wenn es noch gut zehn Jahre dauern sollte: Der Niedergang war nun besiegelt. Ab 1997 gehörte das Werk zum Geschäftsbereich Reise&Touristik. 530 Mitarbeiter waren vier Jahre später noch tätig, als das Werk Ende 2001 die Reisezugwagenausbesserung einstellte. Seither ist das AW Neuaubing Geschichte.
Geodaten: 48.137555, 11.420465
Quellen:
- Triebwerk München
- Liste der Baudenkmäler in Aubing, Wikipedia
- Geschichte Centralwerkstätte Aubing, Wikipedia
- Hallo München: Das Geheimnis wird gelüftet – Was aus dem ehemaligen Ausbesserungswerk Neuaubing werden soll (29.06.2011)
- Abendzeitung: Deutsche Bahn und Aurelis feiern Richtfest (12.05.2014)
- Drehscheibe Online: AW Neuaubing heute vor 20 Jahren (24.07.2005)
- KBS970-Forum: Werkszug AW Neuaubing (20.02.2014)
- muenchenarchitektur.com: Gleisharfe Neuaubing, Vorstellung Gewinnerbeitrag des städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerbs (Oktober 2012)
- Das Bundesbahn-Ausbesserungswerk München-Neuaubing; Eisenbahn-Kurier, Freiburg 1981, ISBN 3-88255-800-8
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